NACHHALTIGKEIT IM INNOVATIONSPROZESS

Wer Nachhaltigkeit vorantreiben möchte, kann auf Innovationen nicht verzichten. Und wer innovativ sein möchte, muss Nachhaltigkeit in seine Innovationen integrieren.

Zu diesem einhelligen Fazit kamen die rund 75 Teilnehmer der Veranstaltung „Nachhaltigkeit im Innovationsprozess“ Mitte Mai in Frankfurt. Eingeladen hatte Chemie³, die Brancheninitiative von VCI, IG BCE und BAVC. Vertreter aus Mitgliedsunternehmen, von Politik, Gewerkschaft und Wissenschaft beantworteten die Frage, welche Voraussetzungen vorhanden sein müssen, um sich als Unternehmen besser, nachhaltiger und wettbewerbsfähiger aufzustellen. Dabei ging es um die Bedeutung neuer Produkte und Verfahren für eine nachhaltige Entwicklung. Mit Good-Practice-Beispielen aus dem Unternehmensalltag erhielten die Mitglieder von VCI, IG BCE und BAVC außerdem wichtige Impulse für die eigenen Innovationsprozesse.

Dass es beim Thema nachhaltige Entwicklung nicht um eine Image-Kampagne oder den Versuch eines „Greenwashings“ der Branche geht, machte Dr. Gerd Romanowski, Geschäftsführer Wissenschaft, Technik und Umwelt im VCI, deutlich. Ganz im Gegenteil: „Nachhaltigkeit ist ein Zukunftsthema für die Chemie“, betonte er. Denn Deutschlands drittgrößter Industriezweig möchte mit seiner Initiative Chemie³ die Zukunftsfähigkeit der Branche in Deutschland aus eigenem Antrieb sichern und verbessern. Dazu gehört einerseits, die Position der chemischen Industrie als Schlüsselindustrie für eine nachhaltige Entwicklung zu stärken und auszubauen. Denn nur mit intelligenten Lösungen aus der Chemie kann es Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft und Fortschritte in Richtung mehr Nachhaltigkeit geben. Andererseits möchte man mit der Initiative auch erreichen, dass die Unternehmen selbst nachhaltiger wirtschaften und ihre Verantwortung für eine nachhaltigere Wirtschaftsweise weiterhin gerecht werden. Dreh- und Angelpunkt, um diese Entwicklung zu forcieren seien neue Produkte und Verfahren. Deutschland habe keine Bodenschätze und könne nur mit Innovationen langfristig am Markt erfolgreich sein, so Romanowski.

EIN „INNOVATIONSPRINZIP“ IN EUROPA EINFÜHREN

Im ersten Teil der Veranstaltung diskutierten Vertreter aus Unternehmen, Politik und Wissenschaft, was Politik und Stakeholder von einer nachhaltigen und innovativen Chemie erwarten und welche Rahmenbedingungen Unternehmen benötigen, um nachhaltige Produkte zu entwickeln.

Denise Rennmann, Leiterin Public and Governmental Affairs der Bayer AG, hob hervor, dass Neuerungen dreifach wirkten: Innovationen antworten auf soziale, gesellschaftliche, ökologische und wirtschaftliche Fragen. Sie rufen Veränderungen hervor – technologisch, sozial, gesellschaftlich und ökologisch. Und sie wirken sowohl auf rationaler wie emotionaler Ebene. Deshalb komme es auch darauf an, diese emotionale Ebene zu erreichen.

Man müsse Innovationen besser erklären. Dies sei eine wichtige Aufgabe der Unternehmen und der Politik. Und damit Politik und Gesellschaft Innovationen ermöglichen, plädierte Rennmann dafür, in Europa das Innovationsprinzip neben das Vorsorgeprinzip zu stellen. Bei neuen Gesetzesinitiativen sollten nicht nur mögliche Folgen für die Gesundheit und Umwelt, sondern auch für das Innovationsklima geprüft werden. Notwendig sei eine größere „Akzeptanzwelle“ für Innovationen, so Rennmann.

Innovationen seien zwar ein Treiber von Wettbewerbsfähigkeit, sie dürften aber auch kein Selbstzweck sein, hielt Alexander Nies, Ministerialdirigent Unterabteilung IG II Umwelt und Gesundheit, Chemikaliensicherheit im Bundesumweltministerium, dagegen. Die Aufgabe von Innovation sei es, qualitatives Wachstum, nachhaltigen Fortschritt und bessere Lebensqualität zu erreichen. An die Unternehmen richtete Nies konkrete Erwartungen: Erstens, dass sie nicht nur ein gutes Geschäft mit ihren Produkten machen wollen, sondern dass die Betriebe auch selbst nachhaltig wirtschaften. Zweitens, die Unternehmen sollten sich bei der Entwicklung von neuen Produkten an den internationalen Zielen für eine nachhaltige Entwicklung orientieren.

Unsere Gesellschaft müsse ihre Lebensweise in der Form ändern, so Nies, dass auch andere diesen Lebensstil übernehmen können, ohne die Umwelt zu schädigen. Nies wies darauf hin, dass das Bundesumweltministerium bis 2017 ein Kompetenzzentrum für nachhaltige Chemie einrichten werde. Dort sollen unter anderem das Nachhaltigkeitsverständnis weiterentwickelt und Impulse für Innovationen gegeben werden.

Einen langfristigen Unternehmenserfolg und die Steigerung des Unternehmenswertes sei nur dann möglich, wenn die zunehmenden Erwartungen diverser Interessengruppen, wie Führungskräften, Mitarbeitern, Lieferanten und Zivilgesellschaft, auch in der Unternehmensführung und bei -werten berücksichtigt werden. Diese Auffassung vertrat Thomas Merten, Geschäftsführer der Trifolium Beratungsgesellschaft. Eine zentrale Herausforderung für eine nachhaltige Entwicklung sei eine dramatische Steigerung der Ressourceneffizienz. Er betonte, dass in Deutschland sehr viele importierte Rohstoffe verbraucht werden. Deshalb seien die Unternehmen über die Lieferkette auch für die Rohstoffextraktion, Veredelung und Weiterverarbeitung verantwortlich.

Die größten Einsparpotenziale sieht er vor allem im Bereich der Rohstoffextraktion und des Verbrauchs. Um mehr Rohstoffeffizienz von der Förderung über die Verarbeitung und den Verbrauch bis zum Recycling, bedürfe es eines Transformationsprozesses. Da das Thema sehr komplex sei, müsse Wissen gesammelt, strukturiert und vermittelt werden. Deshalb sei Ressourceneffizienz ein Bildungsthema nicht nur in der Schuld- und Ausbildung, sondern auch in den Betrieben.

In der anschließenden Diskussion vertiefte Moderator Thorsten Pinkepank, Director Sustainability Relations, BASF SE, mit den Referenten die Frage nach der Bedeutung der Nachhaltigkeit in Innovationsprozessen. So sollten sich Unternehmen, die neue Technologien entwickeln, proaktiv mit den Chancen und Risiken auseinandersetzen. Dabei komme es auch darauf an, Zielkonflikte anzusprechen. Ein Beispiel dafür sei die Photovoltaik, die ein gewünschter Baustein der Energiewende sei, aber bei deren Produktion auch viel Energie gebraucht würde und gefährliche Stoffe verarbeitet würden. Dafür, wie Nachhaltigkeit als zukunftsweisender Aspekt in Innovationsprozesse integriert werden könnte, gebe es keine allgemeingültige Antwort. Dies müsse als ein Prozess verstanden werde, wozu auch das Lernen mit Hilfe von Good-Practice-Beispielen gehöre.

BEISPIELE AUS DEM BETRIEBSALLTAG

Im zweiten Teil der Veranstaltungen stellten Praktiker aus Chemieunternehmen vor, warum und wie sie Nachhaltigkeit in die eigenen Innovationsprozesse integrieren. Dabei ging es auch darum, auf welche Probleme sie im Firmenalltag stoßen und welche Lösungen sie dafür gefunden haben. Dabei wurde deutlich: Zukunftsorientierte Unternehmen haben eine nachhaltige Entwicklung als festen Bestandteil in ihre Unternehmensstrategie integriert. Dabei gehen sie jedoch individuelle Wege, um ihre Ziele zu erreichen.

So erläuterte Dr. Andreas Kicherer, Director Sustainability Strategy, die Vorgehensweise der BASF. Nachhaltigkeit wird dort als Steuerungsinstrument für das Produktportfolio eingesetzt. So hat das Unternehmen 60.000 Verkaufsprodukte kategorisiert und nach Nachhaltigkeitskriterien bewertet. Mehr als 2.000 Experten aus vier Regionen waren an diesem Prozess beteiligt. Das Unternehmen möchte den Anteil der Produkte erhöhen, die einen besonderen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten. Ziel ist, Geschäftsrisiken zu reduzieren und die Chancen auf den Märkten zu verbessern.

Beim Waschmittelhersteller Henkel setzt man auf den sogenannten „Sustainability#Master“, um im Betriebsalltag konkret zu nachhaltigen Innovationen zu kommen. Christine Schneider, Head of Global Sustainability, Laundry & Home Care bei der Henkel AG & Co. KGaA, beschrieb den „Sustainability#Master“ als ein Bewertungsinstrument, das aufzeigt, an welcher Stelle entlang der gesamten Wertschöpfungskette das Produkt signifikant verbessert werden könne, um einen Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten.

Wie ein mittelständisches Unternehmen Nachhaltigkeit und Innovation verbindet, zeigte Dr. Annegret Vester, Head of Marketing der CHT R. Beitlich GmbH. Sie unterstrich die Bedeutung von Nachhaltigkeitsaspekten als Innovationstreiber, um unter anderem die eingesetzten Stoffe zu bewerten. Hierfür hat das Unternehmen rund 2.000 Rohstoffe anhand von Nachhaltigkeitskriterien analysiert. Vester erläuterte weiter, dass für Chemieprodukte, die das Unternehmen als kritisch einstuft, Maßnahmen und Key Performance Indikatoren entwickelt werden, die den Einsatz steuern und minimieren.

 

Dr. Burkard Kreidler, Director Strategic Controlling Creavis, der strategischen Innovationseinheit von Evonik Industries AG, erklärte wie Creavis die Wachstums- und Nachhaltigkeitsstrategie durch das Schaffen neuer Geschäftsmöglichkeiten in bereits bestehenden und neuen Wachstumsfeldern unterstützt. Mit dem Instrument I2P³ (Idea-to-People-Planet-Profit) werden Produkte, die einen besonderen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten, entwickelt, die dann erfolgsversprechend von den Geschäftsbereichen vermarktet werden. Dazu wird neben der wirtschaftlichen Bewertung (Profit) auch eine Charakterisierung der Umwelteinflüsse (Planet) sowie der gesellschaftlichen Aspekte (People) der Produktlösungen vorgenommen.

Fazit

Die Veranstaltung machte deutlich, dass Nachhaltigkeit aus einer verantwortungsvollen Unternehmensstrategie nicht mehr wegzudenken ist. Voraussetzung, um eine nachhaltige Entwicklung zu verstärken, sind vor allem Innovationen. Darin waren sich die Teilnehmer einig. Um den Innovationsprozess entsprechend zu steuern und zu erfolgreichen Produkten oder Verfahren zu kommen, gibt es verschiedene Ansätze. Die Teilnehmer der Veranstaltung konnten wichtige Anregungen für die Arbeit in Ihren Unternehmen mitnehmen.