Werden nachhaltige Lieferketten gesetzliche Pflicht?

Datum: 09. April 2019

Rechtliche Konsequenzen bei Verstößen gegen Nachhaltigkeitsstandards: Das ist in einigen Ländern bereits Realität. Auch die deutsche Politik denkt über gesetzliche Regelungen nach, hat sich aber zunächst für den Weg der Freiwilligkeit entschieden.

Chemie3 informierte Anfang April mit der Fachveranstaltung „Nachhaltigkeit in der Lieferkette – von der Kür zur Sorgfaltspflicht“ über aktuelle Entwicklungen in der Nachhaltigkeitspolitik.

Gerade in der stark global vernetzten chemisch-pharmazeutischen Industrie ist die Arbeitsteilung über Grenzen hinweg stark ausgeprägt. Und Unternehmen werden zunehmend mitverantwortlich dafür gemacht, was bei ihren Zulieferern geschieht. Die Anforderungen von Kunden, Kapitalgebern, NGOs und der Politik steigen. Entwicklungshilfeminister Müller (CSU) sagte Anfang März gegenüber dem Handelsblatt: „Verbraucher akzeptieren längst nicht mehr, wenn am Anfang der Lieferketten Kinder für uns arbeiten müssen und Hungerlöhne gezahlt werden.“

Branche geht voran

Nadine-Lan Hönighaus, Geschäftsführerin von econsense, dem Nachhaltigkeitsnetzwerk der deutschen Wirtschaft, attestierte bei der Chemie3-Veranstaltung in Frankfurt zwar, dass die Chemieindustrie in Sachen Nachhaltigkeit bereits sehr weit ist. Aber auch sie wies darauf hin, dass vielfältige Anspruchsgruppen zunehmend genauer wissen wollen, wie Unternehmen mit Nachhaltigkeitsrisiken umgehen.

Dass die Branche ihre Verantwortung beim Thema Nachhaltigkeit ernst nimmt, zeigt nicht nur die Nachhaltigkeitsinitiative Chemie3. Beispiele sind auch die langjährige Initiative Responsible Care für Umwelt- und Gesundheitsschutz sowie die 2011 gegründete Initiative „Together for Sustainability“ für Nachhaltigkeit in der Lieferkette. In diesem Sinne betonte Berthold Welling, VCI-Geschäftsführer Recht und Steuern, Nachhaltigkeit: „Es ist unser Anspruch in der Branche, die ambitionierten Ziele für mehr Nachhaltigkeit in der Lieferkette zu erreichen.“

Globales Thema

Eng miteinander verknüpfte globale Entwicklungen wie der Klimawandel, die Urbanisierung, soziale Ungleichheit sowie Flucht und Migration befeuern die Aufmerksamkeit für Nachhaltigkeitsaspekte. „Globale Probleme müssen idealerweise global gelöst werden“, sagte Hönighaus. Die Verabschiedung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen 2015 habe gezeigt, dass dies auch gelingen könne. Dass die Wirtschaft dabei als Teil der Lösung gesehen wurde, sei positiv. Es zeige aber auch die veränderte Rolle für Unternehmen, die mehr in die Pflicht genommen würden.

Ähnliches beobachtet auch Laura Curtze, Leiterin des Programms Wirtschaft und Menschenrechte beim Deutschen Global Compact Netzwerk: „Grundsätzlich sind die Staaten für den Schutz der Menschenrechte zuständig. Doch auch Unternehmenshandeln kann menschenrechtliche Auswirkungen haben – und das wird verstärkt in den Fokus genommen.“ In Deutschland fordert seit 2016 ein nationaler Aktionsplan alle Unternehmen zur Einhaltung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte auf. Ab Mai befragt die Bundesregierung in einer repräsentativen Stichprobe rund 1.800 Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten, wie sie auf die Einhaltung der Menschenrechte achten. Ist die Politik mit den Ergebnissen nicht zufrieden, sieht der aktuelle Koalitionsvertrag mögliche gesetzliche Regelungen vor. Curtze beruhigte aber grundsätzlich: „Es geht bei menschenrechtlicher Sorgfalt nicht um „one size fits all“, sondern darum, dass Unternehmen Prozesse entwickeln, die ihrer Größe und ihrem Risikoprofil angemessen sind.“

Kritischer sieht Tobias Brouwer, Bereichsleiter Recht und Steuern beim VCI, die zunehmende Verrechtlichung von Nachhaltigkeitsthemen. Er sieht immer mehr gesetzliche Pflichten auf die Unternehmen zukommen, die auch zivil- und strafrechtliche Konsequenzen haben könnten: „Es gibt einen bunten Strauß von offenen Rechtsfragen rund um das Thema Nachhaltigkeit. Zum Beispiel können auch freiwillige Selbstverpflichtungen zunehmend rechtlich verbindlich sein.“ Er rät daher allen Unternehmen, sich einen Überblick zu verschaffen, welche Selbstverpflichtungen bereits eingegangen wurden.

Chemie ist selbst Lieferant

Chemie- und Pharmaunternehmen müssen nicht nur nachweisen, dass sie bei den eigenen Lieferanten etwa auf die Einhaltung von Menschenrechten achten. Sie sind selbst auch Lieferanten und ihren Kunden gegenüber Rechenschaft schuldig. Bei der Fachveranstaltung beschrieb Ferdinand Geckeler, Nachhaltigkeitsmanager bei der BMW Group, die Nachhaltigkeitsanforderungen des Unternehmens: „Im Kern geht es meiner Meinung nach immer um Menschenrechte und Umweltschutz.“ BMW nehme seine unternehmerische Sorgfaltspflicht zum Beispiel über Audits wahr und habe einen branchenweit standardisierten Nachhaltigkeitsfragebogen als Instrument zur Bewertung der Nachhaltigkeit von Lieferantenstandorten, in den Geschäftsprozess integriert. Dieser wurde 2018 über 4000 Mal bei Lieferantenstandorten angewendet. In knapp 200 Fällen seien Lieferanten danach aufgrund von Nachhaltigkeitsdefiziten nicht beauftragt worden. Geckeler: „Nachhaltigkeitsanforderungen sind für uns bei der Lieferantenauswahl ein KO-Kriterium. Lieferanten, die sie nicht erfüllen, werden nicht beauftragt.“ Das sei aber nur das letzte Mittel. BMW habe eigene Programme zur Lieferantenqualifizierung. Das reiche bis zum mehrtägigen Zertifikatslehrgang für besonders wichtige Lieferanten.

Viele praktische Fragen

Die Nachhaltigkeitsanforderungen entwickeln sich so dynamisch, dass trotz aller Bemühungen in vielen Unternehmen noch zahlreiche praktische Fragen offen sind. Das zeigte sich am Nachmittag der Chemie3-Veranstaltung bei den Diskussionen in verschiedenen Workshops. Im Austausch mit Experten wurde etwa erörtert, was in einem Lieferantenkodex enthalten sein sollte und wie Lieferanten zur Einhaltung verpflichtet werden können. Auch, wie die Nachhaltigkeitsleistung von Lieferanten bewertet werden kann und was aus den Ergebnissen folgt, wurde thematisiert. Weiteren Gesprächsbedarf gab es schließlich rund um den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte. Deutlich wurde, dass die Arbeit rund um die Nachhaltigkeitsthemen weiter im Fokus stehen wird. Genauso sicher ist: Chemie3 wird die Unternehmen dabei unterstützen und plant für den Herbst weitere Praxis-Workshops als Unterstützungsangebote.

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